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Das „deutsche Versailles” liegt 12 Kilometer nördlich von Stuttgart, mit der DB oder der SWEG ist man in knapp 10 Minuten am Ludwigsburger Bahnhof und kann sich dort einem der vielen Linienbusse anvertrauen – sofern man denn inmitten der vielen Busbuchten den richtigen findet. 421? 427? „Steigen Sie einfach bei mir ein”, tönt es vom Fahrersitz, „dann können Sie am Rathaus umsteigen oder den Rest einfach zu Fuß gehen.” Gesagt, getan.
Zum Glück ist der Haupteingang schon von weitem an den großen bunten Auslegerfahnen zu erkennen, und schnell steht man an einem der Kassenhäuschen für das „Blühende Barock”. Wie denn, das ist gar nicht der Eingang zum Schloss? Und der Weg dorthin führt außen am Garten entlang? Aber wer will jenseits der Hecke laufen, wenn drinnen der schönste aller Barockgärten zum Flanieren entlang von Blumenbeeten und Wasserspielen einlädt? Alternativ könne man natürlich auch zuerst den Rosen und Putten folgen. Denn es ist ein schöner Sommertag, und die Führung beginnt erst in zwei Stunden.
Obschon die weiß gestrichenen Bänke vor der Schlossfassade zum Verweilen einladen, sollte man sich allerdings nicht zu lange zwischen den Springbrunnen und Hochstammrosen aufhalten, sonst läuft einem später im Tal der Vogelstimmen, bei den Großvolieren, an der Emichsburg, im Japan- oder im Staudengarten oder gar in der Broderie mit den schönen Buchs-Ornamenten die Zeit davon. Und das wäre doch sehr schade.
Denn man ist erst in Ludwigsburg gewesen, wenn man das prächtige Residenzschloss auch von innen gesehen hat. Von der Gartenseite kommend, versperrt ein Drehkreuz den Weg in den Innenhof. Ist das der Eingang zum Schloss? Nein, hier verläßt man nur den Garten. Der Schlosseingang samt Kasse und Shop befindet sich auf der Westseite, also genau gegenüber. Zum Glück ist dieses Mal kein Außenherum angesagt, der Weg führt vielmehr schnurstracks durch die Torbögen und über den Innenhof zu jenem Eingang, den man von der Westseite aus viel leichter hätte erreichen können. Bei Regenwetter zum Beispiel.
Das symmetrisch aufgebaute Schloss, das größte unzerstört gebliebene seiner Art in ganz Süddeutschland, umfaßt drei Bauabschnitte und ist viel zu groß, um die gesamte Beletage in einer einzigen Führung zu bewältigen. Deshalb können die Besucher zwischen den Varianten „Herzogin” und „Herzog” wählen, um dann vom Alten Corps de Logis ausgehend entweder durch den Spielpavillon, den Östlichen Kavalierbau, die Empore der Schlosskirche, das Schlosstheater und die Ahnengalerie mit den schönen Deckenfresken geführt zu werden oder alternativ durch den Jagdpavillon, der Ordenssaal, die Ordenskapelle, den Westlichen Kavalierbau und die Bildergalerie. Beide Führungen enden im Neuen Corps de Logis – an verschiedenen Treppen!
Ermattet? Mitnichten, es stehen ja noch die Besuche des Keramikmuseums und des Modemuseums aus! Beide Sammlungen sind ebenso umfangreich wie interessant, öffnen ihre Türen aber nur an den Wochenenden, und das auch nur von April bis Oktober. Das kleine Theatermuseum wiederum ist nur werktags zugänglich, dafür aber das ganze Jahr über. Und das Appartement Carl Eugen zeigt sich gar, wie auch die Barockgalerie, gänzlich verschlossen: beide werden gerade renoviert. Aber man will ja ohnehin wiederkehren, für den jeweils anderen Flügel oder die beiden Spezialmuseen, wenn beim ersten Mal die Beine zu schnell zu schwer geworden sind.
Keine Mühe scheuend, hat sich der Verfasser beide Spezialmuseen angesehen und war hie wie da begeistert, sowohl vom Umfang und der Qualität der Sammlungen wie auch von der ansprechenden Präsentation.
Das Keramikmuseum besticht durch Arbeiten so berühmter Porzellan-Manufakturen wie Meißen, Dresden, Berlin, Selb und Sèvres sowie natürlich als Höhepunkt die rund 2.000 Stücke umfassende Studiensammlung von Ludwigsburger Porzellan.
Das Modemuseum wiederum zeigt prächtige Damenroben und kostbare Herrenanzüge aus edlen Stoffen, dazu Schuhe, Hüte, Handtaschen, Fächer und weitere Accessoires, allesamt in einen zeitlichen Kontext gestellt, bis hin zu den berühmten Klassikern Christian Dior, Coco Chanel und Yves Saint Laurent.
Ach ja, das Theatermuseum! Es ist relativ klein, aber seine Wände sind voll von interessantem Lesestoff. Schaustück ist natürlich das Modell der Bühne nebenan samt Bühnenmaschinerie: ein einzigartiges technisches Denkmal. Kulissen wurden bei offenem Vorhang bewegt, Darsteller schwebten am Wolkenwagen herab oder wuchsen aus einer Bodenluke empor. Wind- und Donnermaschine sorgten für die Geräuschkulisse, hinterspiegelte Öllampen für illusionistisch wirksames Bühnenlicht.
Gefragt, welches Detail ihm am besten gefallen habe, fiele die Antwort des Rezensenten wohl zugunsten jener Fayence-Deckelterrinen aus, die durch ihre äußere Form den Inhalt vorwegnehmen: ein Truthahn, ein Karpfen, ein Kohlkopf. Ja, sogar der Spargel hatte seine spezielle Servierdose. Für das Keramikmuseum braucht es allerdings, da es nicht Teil der Schlossführung ist, ein Ergänzungsticket. Und ebenso für das Modemuseum.
Der Verfasser hat Schloss Ludwigsburg am 27. Juli 2024 besucht.
Schloss, Ludwigsburg
Streifzug durch die Zeiten, vom üppigen Barock über das verspielte Rokoko bis hin zum eleganten Klassizismus. Mehrere Museen und Dauerausstellungen.
Bot. Garten, Ludwigsburg
Weitläufige ganzjährige Gartenschau rund ums Residenzschloss. Sardischer Garten mit Flamingos und Störchen.
Museum, Ludwigsburg
Bedeutende Stücke des 18. und 19. Jahrhunderts der großen Manufakturen Meißen, Nymphenburg, Berlin, Wien und Ludwigsburg sowie zeitgenössische Keramik.
Museum, Ludwigsburg
Geschichte der europäischen Mode. Chronologisch angelegter Überblick zum Wandel der Kleidermode von 1750 bis 1970, von der Kleidung des Ancien Régime über bürgerlichen Moden des 19. Jahrhunderts bis hin zur Moderne. Haute Couture und Designerkleidung namh
Museum, Ludwigsburg
Eines der ältesten erhaltenen Schlosstheater seiner Art mit originaler Bühnenmaschinerie. Geschichte, historische Technik, Modelle, originale Kulissen, kuriose Fundstücke aus früheren Theatertagen.
Schloss, Ludwigsburg
Museum, Ludwigsburg
Kulturgeschichte Württembergs. Ideen und Visionen, die Ludwigsburg prägten. Einzigartige Grafiksammlung.
Museum, Ludwigsburg