Beitrag
Nach rund zehnjähriger Schließung ist im Aschaffenburger Schloss Johannisburg die Staatsgalerie samt Bischofswohnung und Paramentenkammer wieder zugänglich: ein Grund, sich das Ensemble samt nahe gelegenem Pompejanum einmal näher anzusehen.
Pompejanum
Für das Pompejanum hätte sich der Verfasser keinen schöneren Tag aussuchen können als jenen, an dem bei strahlendem Frühlingswetter die Blütenstände des Blauregens den maritimen Charakter der Mainterassen in einer Weise intensivieren, die einen glatt vergessen lassen möchte, dass man eigentlich wegen des mächtigen Schlosses und seiner völlig neu konzipierten Gemäldesammlung nach Aschaffenburg gekommen ist. Und dass es ebenso auch eine Sünde wäre, das einer römischen Villa nachempfundene Haus zugunsten der herrlichen Aussicht über den Main links liegen zu lassen. Und so fügen sich an diesem Tag Natur, Architektur und Malerei zu einem Gesamtkunstwerk zusammen, das seinesgleichen sucht.
Schloss und Pompejanum verbindet, dass beide Gebäude durch die Bomben und Granaten des Zweiten Weltkriegs fast vollständig zerstört, später aber wieder so gut restauriert wurden, dass ihre Baugeschichte auch über diese Epoche des Schreckens hinweg gut nachvollziehbar ist.
Wer schon einmal in Pompeji war, kennt die typische Villenarchitektur mit ihrer nach innen orientierten Architektur hinter nahezu fensterlosen Außenmauern. Genau so ein Gebäude hatte Bayernkönig Ludwig der Erste im Sinn, als er seinen Architekten Friedrich Gärtner damit beauftragte. Kein königliches Wohnschlößchen sollte es werden, sondern ein Anschauungsobjekt für alle, denen eine Reise an den Golf von Neapel zu beschwerlich oder auch zu teuer gewesen wäre. Ein kleines Zugeständnis mußte freilich sein: das Impluvium, ein im mediterranen Klima nach oben offenes Atrium mit Wasserbecken, ist in Aschaffenburg mit Glas überdacht.
Das Haus bietet im seitlichen, hinteren und oberen Bereich etliche Räume in diversen Erhaltungszuständen, denn natürlich verblassten über die Jahrzehnte die Dekore und mussten aufgefrischt werden, bis dann jedoch der Krieg und nach ihm der Witterungseinfluss ihr Zerstörungswerk an der Ruine begingen. Heute sieht zumindest ein Teil der Wände nun wieder so aus wie zu König Ludwigs Zeiten, während ein anderer Teil die nicht weniger wichtigen Kriegsnarben konserviert. Genau diese Überlagerung der Epochen, die das Gebäude nun schon hinter sich hat, macht auch seinen besonderen Reiz aus.
Staatsgalerie
Nun wird es aber höchste Zeit, hinüberzulaufen zum Schloss, dessen mächtige Mauern und Türme aus rotem Odenwälder Sandstein die Mainterrassen dominieren. Der Weg führt, vorbei an der Blauregen-Pergola und am Frühstückstempel, über ein Stück alte Stadtmauer und die Schlossterrasse hinüber zur Ostseite, wo sich der Eingang befindet. Von hier gelangt man zur Rechten durchs Foyer und über die große Freitreppe hinauf ins Obergeschoss, wo man sich zwei Türen weiter in einem Raum von massiver Überwältigungskraft wiederfindet. So wie hier, dicht an dicht wie eine Bildtapete, wurde bis ins 19. Jahrhundert tatsächlich gehängt: Meisterwerke gegen Durchschnitt, große Bilder kombiniert mit kleinen, inhaltlich aufeinander bezogen, Landschaften hier und Stillleben dort.
Diesem ersten Raum, dessen Vielfalt man sich am besten über die ausliegenden Textblätter erschließt, folgt einer, der erstaunlicherweise auf allen vier Seiten Fenster hat, mit Blick auf die Stadt, den Fluss, ja sogar auf das Pompejanum. Wir befinden uns nämlich in einem der leicht vorspringenden Turmzimmer. Man hat es den Blauen Salon genannt und zeigt hier, wie auch schon vor der Sanierung, den Passionszyklus des Rembrandt-Schülers Arent de Gelder – jetzt aber in der tatsächlichen Abfolge der Ereignisse.
Der Staatsgalerie war daran gelegen, einen Rundgang zu erschaffen, bei dem die intensiven Zeitschichten, die dieses Schloss und diese Sammlung haben, sehr geschickt miteinander verzahnt sind. Die Geschichte beginnt nämlich bereits im frühen 16. Jahrhundert mit Kardinal Albrecht von Brandenburg, dessen Sammlung 1793/94 durch die politischen Umstände jener Zeit von Mainz nach Aschaffenburg gelangte und seitdem durchgehend gezeigt wurde, mit Ausnahme jener Epoche ab 1945, als das Schloss schwerst zerstört war, in den Folgejahren jedoch vorbildlich und unter Bewahrung des historischen Charakters rekonstruiert werden konnte.
Die nun folgenden, grün bespannten Räume folgen wieder dem Hängungsprinzip des ersten Saales, wenn auch nicht wie dort vom Boden bis zur Decke. Einiges mußte ohnehin neu gerahmt werden, so dass die Ensembles nun auch in dieser Hinsicht zueinander passen. Der holländischen Malerei mit ihrer atmosphärischen Stimmung folgt die flämische, dann steht der Besucher in der Herzkammer der Sammlung: dem berühmten Cranach-Saal.
Der wunderbare Rundblick auf die eng mit Kardinal Albrecht von Brandenburg verbundene Sammlung, ursprünglich für dessen neues Stift in Halle gedacht und in Auftrag gegeben, beeindruckt mit großen Altarwerken, vor allem auch mit der „Auferweckung des Lazarus”, die von den Staatsgemäldesammlungen erworben, dann als ehemals jüdischer Besitz erkannt, an die Familie restituiert und von dieser letztlich wieder für die Sammlung angekauft worden war.
Zwei weitere Säle leiten von hier nun über zur Paramentenkammer. Die frisch entstaubten klerikale Textilien beeindrucken mit Materialien und Mustern, die wohl auch jedem modernen Textilkünstler ehrfürchtiges Staunen aufs Antlitz zauberten. Textilien brauchen so wenig Licht wie möglich, deswegen hat man sich in Aschaffenburg für eine Dunkelinszenierung entschieden: komplett dunkle Räume, deren dezente Beleuchtung nur aktiviert wird, wenn sich auch tatsächlich Besucher im Raum befinden. Der bewundernde Blick fällt hier auf feine Wollstickereien, die sogenannte Nadelmalerei, auf exklusive Leopardenfellmuster, violetten Samt und – leider aber nur für ein paar Monate – eine mit unzähligen kleinen Perlen bestickte Mitra, der Goldgrund aus dicht nebeneinander gewebten Goldfäden bestehend, eine wirklich einzigartige Leihgabe.
Wenige Schritte weiter ist entlang eines Korridors die Geschichte von Schloss und Sammlung dargestellt, und es trifft sich gut, dass eben dieser Flur auch über Fenster zum Schlosshof hin verfügt, denn so treten Alt und Neu in einen spannenden visuellen Dialog, bevor die Führungslinie schließlich zum Sprung ins zweite Obergeschoss mit den kurfürstlichen Räumen ansetzt.
Die bekannte Schlossansicht von Ferdinand Kobell bildet hier den Auftakt zu einer bewußt kurfürstlich definierten Bildergalerie, die ja zum Raumprogramm eines solchen Repräsentanten gehörte und in Verbindung mit dessen Wohnräumen auch so wahrgenommen werden soll.
Vor deren Betreten oder wahlweise auch danach sollte man sich dabei auf keinen Fall den Kobell’schen Aschaffenburg-Zyklus entgehen lassen, der jetzt wieder vollständig ist und so gehängt, wie man die Motive auch heute noch aufnehmen würde: als Panorama nämlich, das mit dem Blick auf die Altstadt beginnt, gefolgt von der Allee nach Schönbusch, dem Frühstückstempel, dem Schloss Biebrich, der Martinsburg, der Mainmündung und als Abschluß noch der Kirche von Reichenau. Und wer ein wenig auf den Vordergrund achtet, entdeckt auch viele ganz kleine profane Szenen in den Bildern.
Die Raumabfolge der nun folgenden acht Schauräume ist bereits seit der klassizistischen Umgestaltung durch Kurfürst-Erzbischof Friedrich Karl Joseph von Erthal in den 1770er-Jahren nicht mehr die ursprüngliche, und zudem wurden sie beim Wiederaufbau zugunsten der Staatsgalerie in den zweiten Stock hinauf verlegt. Das Schloss nach seiner fast völligen Zerstörung wiedererstehen zu lassen war eine Leistung, die auch über die jüngste Renovierung hinweg sichtbar bleiben sollte, während die hochmoderne technische Substanz eher im Verborgenen wirkt. So sind etwa die Kronleuchter nunmehr mit LED-Kerzen bestückt.
An das abschließende Turmzimmer wird sich in naher Zukunft, wenn auch der zweite Bauabschnitt vollendet sein wird, der städtische Bereich anschließen. Man wird sich dann allerdings noch erheblich mehr Zeit für die Besichtigung nehmen müssen. Oder eben noch ein zweites Mal nach Aschaffenburg kommen. Oder ein drittes. Schließlich hat die Stadt am Main noch viele weitere Attraktionen zu bieten.
Der Verfasser hat Pompejanum und Schloss am 3. Mai 2023 besucht.
Museum, Aschaffenburg
Rekonstruktion eines römischen Hauses im Maßstab 1:1. Originale römische Kunstwerke aus den Staatlichen Antikensammlungen.
Museum, Aschaffenburg
Typische Barocksammlung mit Genre- und Landschaftsmalerei. Passionsfolge des letzten Rembrandt-Schülers, Aert de Gelder. Altdeutsche Galerie mit Werken Lucas Cranachs d.Ä. und seiner Schule.
Gebäude, Aschaffenburg
Paramentenkammer und fürstliche Wohnräume, Korkmodellsammlung, Schlosskapelle.
Schloss, Aschaffenburg
Stadtgeschichte, Kunsthandwerk, Malerei und Skulptur. Aschaffenburger Künstler der klassischen Moderne Ernst Ludwig Kirchner und Christian Schad („Schadographie”) sowie zeitgenössische Kunst.
Verbund, Aschaffenburg
Ausstellungshaus, Aschaffenburg
Profanierte Kirche der Aschaffenburger Jesuiten. Ausstellungshaus von überregionalem Ruf mit Schwerpunkt auf Klassischer Moderne und gefestigten Positionen der Gegenwart.
Museum, Aschaffenburg
Alle Schaffensperioden des „Meisters der neuen Sachlichkeit”, von der Malerei über die Schadographie bis hin zur Photographie.
Museum, Aschaffenburg
Denkmalgeschütztes Haus mit vielen authentischen Architekturelementen (Treppenhaus, Holzfußböden etc), die eine besondere Atmosphäre ausstrahlen. Ausstellungen zu aktuellen Positionen der internationalen Gegenwartskunst
Museum, Aschaffenburg
Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde in Aschaffenburg. Politische Entwicklungen und ihre Folgen am Beispiel lokaler Geschehnisse. Originale Kultgegenstände aus der jüdischen Glaubenswelt. Modell der 1938 zerstörten Synagoge.