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Am 19. September 1908, es war ein Samstag, fand im Konzertsaal des Prager Ausstellungsgeländes Výstaviště unter der Leitung von Gustav Mahler jene bemerkenswerte Uraufführung seiner siebenten Sinfonie statt, über die der Musikkritiker Dr. Richard Batka tags darauf im Prager Tagblatt schrieb: „Das gehobene Gefühl, einem außerordentlichen künstlerischen Ereignis beigewohnt zu haben, beherrschte alle.”
Fast auf den Tag genau 100 Jahre später, im Rahmen des alle 10 Jahre stattfindenden „Jahres der tschechischen Musik”, wagten sich die Veranstalter des diesjährigen Dvořák-Festivals an eine Rekonstruktion dieser Uraufführung.
Was die Orchesterbesetzung anging, tat sich freilich ein kleines Hindernis auf: im damaligen Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn formten die Musiker der Tschechischen Philharmonie und ihre deutschen Kollegen ein gemeinsames Orchester. Zwischenzeitlich ist aber nicht nur viel Wasser die Moldau hinabgeflossen, es war auch ein Thronfolger ermordet worden, und einem grausamen, nicht nur die Donaumonarchie zertrümmernden Weltkrieg folgte nach einer Phase der Nazi-Willkür ein noch grausamerer zweiter mit dem Ergebnis, dass Millionen Deutsche ihre Heimat verlassen mussten und diese auf Betreiben der Sowjets für Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang verschwand, während sich zugleich die Tschechen erneut ihrer Freiheit beraubt sahen – bis schließlich vor nunmehr 35 Jahren die langersehnte Wende kam.
Heute sind die Gräben, die beiderseits so viel Leid verursacht hatten, glücklicherweise zugeschüttet, und dem Wiederaufgreifen der alten Konzerttraditionen standen eigentlich nur zwei Dinge im Wege: zum einen ist von den Gebäuden und Pavillons der Prager Jubiläumsausstellung fast nichts mehr stehen geblieben, es brauchte folglich eine Bühne samt zeitgemäßer Tontechnik für die Open Air sitzenden Zuhörer. Zum anderen gibt es kein Deutsches Philharmonisches Orchester Prag mehr. Oder doch? Dessen ehemalige Mitglieder hatten sich 1946 als Bamberger Symphoniker wieder zusammengefunden und betonen seit jeher ihre Prager Wurzeln.
Der Titel „spojeni Mahlerem” (durch Mahler verbunden) hätte also nicht treffender gewählt sein können: was da am 11.9.2024 unter der Leitung von Jakub Hrůša bei leicht unfreundlichem Wetter über die Bühne ging, war nicht nur eine an Großartigkeit kaum zu übertreffende Aufführung jenes Werkes, das in seiner progressiven Chromatik zu den bemerkenswertesten und zugleich mühsamsten Schöpfungen Mahlers zählt, sondern auch ein klares Bekenntnis zur Gräben überwindenden Wirkung von Musik und zur grundlegenden Bedeutung des mitteleuropäischen Raums für die Gestaltung von Kulturgeschichte: ein österreichischer Komponist mit tschechischen Wurzeln, gespielt von einem vereinigten tschechischen und deutschen Orchester!
Das Internationale Dvořák-Musikfestival Prag bietet übrigens Jahr für Jahr mehr als zwei Wochen lang nicht nur wunderschöne Musik und außergewöhnliche kulturelle Veranstaltungen, sondern zielt auch darauf ab, die Werke Antonín Dvořáks im historischen Kontext mit anderen großen Komponisten zu präsentieren, als da wären Smetana, Janáček, Suk, Korngold, Beethoven, Brahms, Liszt, Wagner, Mendelssohn, Strauss und etliche mehr. Veranstaltungsort ist in der Regel das Rudolfinum, jenes prächtige Gebäude im Stil der Neorenaissance, wo 1896 die Tschechische Philharmonie ihr Debutkonzert gab. Konzerte finden aber auch im St. Agnes-Kloster, in der Bethlehem-Kapelle oder im Respirium der Akademie der darstellenden Künste statt – oder eben im Výstaviště.
Zwar kein offizieller Teil des Festivalprogramms, gehören natürlich auch die Museen, die in Prag und anderswo den obigen Komponisten gewidmet sind, für die Festivalgäste zum musikhistorischen Pflichtprogramm. In erster Linie seien hier das Dvořák-Museum im Stadtteil Vyšehrad, das Smetana-Museum nahe der berühmten Karlsbrücke sowie das Tschechische Museum für Musik auf der Prager Kleinseite genannt.
Gustav Mahlers familiäre Wurzeln liegen unweit von Prag in Iglau (heute Jihlava) an der alten Grenze zwischen Böhmen und Mähren. Um auch ihn museal erleben zu können, braucht es allerdings einen längeren Anlauf: seine Lebensspuren finden sich über das gesamte damalige Kaiserreich und darüber hinaus verstreut und dokumentieren unter anderem seinen Aufenthalt in den Dolomiten, wo er vergeblich nach Inspirationen für seine Siebente Sinfonie suchte. Im Wiener Haus der Musik ist ihm ein eigener Raum gewidmet und im fernen Hamburg, wo er als Erster Kapellmeister des Hamburger Stadttheaters maßgeblich das hanseatische Musikleben gestaltete, sogar ein ganzes Museum: es befindet sich in unmittelbarer Nähe zu jenen für Mendelssohn, Telemann und natürlich Brahms.
Ach, bleiben wir doch lieber noch ein Weilchen in der schönen Moldaustadt und sehen uns die berühmte Rathausuhr, die barocke Bibliothek und das Nationalmuseum an. Und natürlich die Prager Burg.
Museum, Praha (Prag)
Eines der schönsten Gebäude der Neorenaissance in Prag. Umfangreiche Sammlungen zum Leben und Werk des Komponisten Bedřich Smetana, Schicksal seiner Werke im In- und Ausland vom 19. Jahrhundert bis heute.
Museum, Praha (Prag)
Barocker Sommerpalast „Amerika”. Gegenstände aus seinem Nachlass, Sammlung von Manuskripten des Komponisten. Skulpturen von Matthias Bernard Braun.
Museum, Praha (Prag)
Prachtvoller Saal, vom Nationalmuseum mit Musik belebt. Streich- und Zupfinstrumente, Harfen, Blas- und Schlaginstrumente, Harmonikas, Tasteninstrumente, Orgeln, mechanische Musik. Mozartklavier.
Museum, Hamburg
Gustav Mahler (1860-1911), kompositorischer Wegbereiter der Moderne. Der schier rastlose Arbeitsalltag und der weite intellektuelle Horizont des Künstlers.
Museum, Toblach
Gustav Mahler schuf hier von 1908 bis 1910 die „Neunte Symphonie”, die unvollendete „Zehnte Symphonie” und „Das Lied von der Erde”.
Museum, Wien
Museum der Wiener Philharmoniker. Welt der Musik und der Klänge. Große Meister der Wiener Klassik: Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Strauss, Mahler. Virtueller Dirigent. Physics of Sound.
Museum, Praha (Prag)
Das 1908 gegründete Museum zeigt umfangreiche Sammlungen zur Technikgeschichte, den Naturwissenschaften und der Industrie: Transport, Bergbau, Architektur, Astronomie, Chemie, Haushaltstechnik, Druckerei, Foto- und Fernsehstudio u.v.m..