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Mit dem Bau des Assuan-Staudamms in Ägypten ab 1960 sollte ein einzigartiges Kulturdenkmal für immer in den Fluten des Stausees versinken: die von Pharao Ramses II. errichtete und 1813 von dem Schweizer Orientreisenden Johann Ludwig Burckhardt alias Scheich Ibrahim Ibn Abdallah wiederentdeckte Kultstätte Abu Simbel. In einem weltweiten Gemeinschaftsprojekt wurden die beiden Tempel ab 1963 aus dem Fels gesägt und wie zyklopische Legosteine an einem sicheren Ort wieder zusammengefügt.
Doch wie authentisch ist das eigentlich noch, was sich da unter dem künstlichen Felshügel befindet? Welches Gefühl stellt sich ein, wenn man weiß, dass man sich nicht tief im Inneren des Uferfelsens befindet, sondern unter einer Stahlbetonkuppel, die jeden einzelnen der über 1000 Steinblöcke an genau dieser Stelle fixiert? Ist das latente Gefühl, hier eine Scheinwelt wie im Film „Westworld” zu erleben, gerechtfertigt?
Vor den wieder aufgebauten Tempeln stehend und ins Wasser des Stausees blickend weiß man: es hätte schlimmer kommen können, statt seufzend auf ein paar alte Schwarzweißfotos zu starren können wir die beiden Tempel auch heute noch begehen und den Gesamteindruck, wie er in der Vergangenheit war, noch immer auf uns wirken lassen.
Passiert Ähnliches vielleicht auch im virtuellen Raum? Dank neuester VR-Technik müssen wir heute nicht mehr nach Ägypten reisen und uns stundenlang mit dem Bus durch die Wüste karren lassen. Der Verfasser hat beides besucht, die versetzten Tempel von Abu Simbel und ihr virtuelles Pendant in der Kölner Ausstellung „Ramses & das Gold der Pharaonen”. Sein Fazit: die Faszination der schwindenden Relevanz von Zeit ist in beiden Fällen mehr oder weniger dieselbe.
Machen wir es uns also, ausgestattet mit Kopfhörern und einer Taucherbrille voller Elektronik, in einem bequemen Sessel gemütlich und harren der Dinge, die da kommen werden.
Natürlich gibt es Unterschiede zur realen Erfahrung, ganz erhebliche sogar. Virtuelle Realität ist aber keineswegs vergleichbar mit einem Film, der vor dem Betrachter abläuft. VR umgibt uns vielmehr auf allen Seiten. Aber nicht wie Käseglocke, sondern dreidimensional: der Abstand zu den Wänden des Tempeleingangs lässt sich gut abschätzen, und immer wieder ist man versucht, den Ellenbogen einzuziehen oder die Füße anzuheben, während man gefühlt in das Tempelinnere hinein getragen wird wie in einer Sänfte und dabei den behauenen Pfeilern bedrohlich nahe kommt. Ein ehrfürchtiger Blick nach oben, ein neugieriger auf das Relief, von dem sich gerade Ramses’ Streitwagen ein paar Zentimeter weit abhebt, um gleich darauf wieder mit der Wand zu verschmelzen.
Damals, im originalen Tempel, mußte man freilich die eigenen Füße benutzen, um hinter die monumentalen Statuen oder von einem Raum des Tempels in den nächsten zu gelangen. Und sich umdrehen, wenn man keine wichtigen Details übersehen wollte. Hier in der VR-Welt dreht stattdessen jemand an der Sänfte.
Doch ist das nicht der einzige Unterschied. Dem einen fällt es vielleicht etwas früher auf, dem anderen später: man ist mit der Lieblingsfrau des Pharao, die einem erklärend voraus schwebt, ganz allein im Tempel. Keine anderen Touristen, keine Schritte auf dem Steinboden, kein Klicken und Piepsen von Kameras und anderer Elektronik, kein Stimmengewirr. Nur man selbst und der Geist der Nefertari. Na ja, nicht ganz. Aber mehr soll hier nicht verraten werden.
Bei Tutanchamun, der zuletzt vom Verfasser besuchten immersiven Ausstellung, war alles ein wenig anders: man bewegte sich auf seinen eigenen Füßen in der virtuelle Szenerie herum, begegnete anderen Besuchern, die von der Brille als frei im Raum schwebende graue Porträtbüsten dargestellt wurden, sich ansonsten aber wie ganz normale Mitbesucher verhielten und durchaus auch akustisch wahrnehmbar waren. Man fand den einen oder anderen Gegenstand, der zwar haptisch nicht vorhanden war, jedoch mit den eigenen virtuellen Händen bewegt werden konnte: ein Buch etwa oder eine Lampe. Und man konnte sich seinen Weg entlang der Wände des Pharaonengrabes oder durch das Grabungszelt selbst aussuchen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Ausgrabungszelt und Pharaonengrab nicht die einzige virtuelle Welt jener anderen immersiven Schau waren: zusammen mit dem Projektionsraum und der Variante mit bewegten Sitzen waren es deren sogar drei.
Doch darf andererseits auch die Kölner Ausstellung nicht auf ihre VR-Komponente reduziert werden, im Gegenteil: deren eigentliches Highlight sind natürlich die Originalexponate aus dem Ägyptischen Museum in Kairo, vom wuchtigen Steinsarkophag über diverse mumifizierte Tiere bis hin zum filigranen Amulett oder Siegelring.
Und auch die beiden Tempel von Ramses II. und der Nefertari treten noch einmal in Erscheinung, ganz real und von allen Seiten her betrachtbar, denn es handelt sich um ein Schnittmodell der Tempelanlage im Inneren des Berges. Sogar das Sonnenwunder, bei dem an zwei Tagen im Jahr das Licht der aufgehenden Sonne bis in das hinterste Heiligtum dringt, findet sich in Form einer kleinen Lampe mit Einschaltknopf wieder.
Erlebnisort, Köln
Erlebnisstationen für unterschiedliche Altersstufen. Entstehung des Lebens, faszinierende Technik, Phänomene wie Globalisierung und Klimawandel.
Bis 29.9.2024, Köln
Das multisensorische Museumserlebnis gibt einen faszinierenden Einblick in das Leben und Errungenschaften des legendären Pharao Ramses II.
Bis 10.11.2024, Köln
Der Auftrag lautete, repräsentative Aufnahmen des Wiederaufbaus der kriegszerstörten Stadt anzufertigen, dabei aber auch die „typischen” Kölner festzuhalten.
Museum, Köln
Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart: Expressionismus (Sammlung Haubrich), Russische Avantgarde, Picasso (weltweit drittgrößte Sammlung), Neue Sachlichkeit, Bauhaus und De Stijl, Dada und Surrealismus, Abstrakter Expressionismus, Noveau Réalisme, Pop Art u.v.m.
Museum, Köln
Altkölner Malerei, niederländische und altdeutsche Tafelmalerei, flämische und holländische Gemälde, Bilder des 17. Jahrhunderts aus Italien und Spanien, deutsche Romantik, Realismus, Impressionismus, Skulpturen ab 1800. Graphische Sammlung.
Museum, Köln
Europäisches Kunsthandwerk vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Möbel, Keramik (Rheinisches Steinzeug, Fayence, Porzellan), Glas (Italien, 16. Jahrhundert, Deutschland, 17.- 18. Jahrhundert, Jugendstil), Silber, Zinn, Schmuck von der Gotik bis zur Gegenwart.
Museum, Köln
Geschichte, Geistesleben, Wirtschaft und Alltagsleben Kölns und seiner Bewohner vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Köln-typische Phänomene wie Klüngel, Kölsch, Karneval, Hänneschen-Theater, Kölnisch Wasser, der in Köln erfundene Otto-Motor und Ford.