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18.7.2024
Cosimas Tagebuch zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Kietz, große Charge von Paris zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Ernst Benedikt Kietz, „Die große Charge von Paris”, Paris 1840, Bleistift/Papier
Adolph von Menzel, Eisenwalzwerk zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Adolph von Menzel, Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen), 1872-1875
Foto: akg-images
Kontoaufstellung zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Cosima Wagner, Rezeptbuch zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Cosima Wagner und andere, Rezeptbuch, ab 1878
Rennweg und Wahnfried zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Grundriss Haus Wahnfried zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Carl Wolfel, Grundriss des Erdgeschosses von Haus Wahnfried, Bayreuth 1872
Luigi Trevisan, Rechnung zu „Roastbeef mit Gemüse”,
Luigi Trevisan, Rechnung für den Monat Januar 1883, Venedig 1883

Beitrag

Roastbeef mit Gemüse

Cosimas Rezeptbuch und andere Wagner’sche Privatsachen

Rainer Göttlinger
18. Juli 2024

Er war Komponist, Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Regisseur und Dirigent, aber auch Egomane, Schwerenöter, Antisemit, Linksradikaler, Umweltschützer und Tierfreund. Mit 16 Jahren stand für ihn fest, dass er Musiker werden wollte. Beim Dresdner Maiaufstand schloss er sich den Aufständischen an, verbreitete Propaganda, wurde steckbrieflich gesucht und floh mit falschem Pass in die Schweiz, wo er einige Affären hatte, unter anderem mit Mathilde Wesendonck. Aus Wien floh er vor der Steuerfahndung, der verheirateten Cosima von Bülow, der Tochter seines Freundes Franz Liszt, machte er ein Kind. Das Paar lebte dann in wilder Ehe im idyllischen Haus Tribschen am Vierwaldstättersee, die Miete überwies der königliche Freund und Gönner Ludwig II. von Bayern.

Die Rede ist natürlich von Richard Wagner. Das gleichnamige Museum in Bayreuth stellt uns in seiner diesjährigen Sommerausstellung ausnahmsweise nicht den „Meister”, sondern den Menschen Wagner vor: ein Kind seiner Zeit und Produkt seiner Lebensumstände in der Welt des 19. Jahrhunderts.

Noch bis Oktober gewährt der dezent-elegante Museumsneubau im Park von Haus Wahnfried Einblicke in Kontoauszüge und Wechsel, blättert ein medizinisches und ein kulinarisches Rezeptbuch auf und breitet die Pläne für den Bau von Haus Wahnfried vor den Besuchern aus. Natürlich kommt auch Wagners Frau Cosima zu Wort, führte sie doch vom 1. Januar 1869 an Tagebuch über ihr Leben mit dem 24 Jahre älteren Mann, der schließlich am 13. Februar 1883 im Alter von 69 Jahren in ihren Armen starb. Sie überlebte ihn um mehr als 47 Jahre.

Wie sah die Welt zu jener Zeit aus? Im Jahr der ersten Festspiele 1876 gab es zwischen Bayreuth und Nürnberg eine „Eilzugverbindung”, die für die 94 km lange Strecke rund zwei Stunden und 15 Minuten brauchte, zweieinhalb mal so lange wie heute. Die Postkutsche hätte dafür allerdings fast einen ganzen Tag gebraucht.

Wagner legte in seinem Leben rund 45.000 Kilometer zurück. Seine Flucht im Mai 1849 von Magdala in Mittelthüringen über Jena, Lindau, den Bodensee und Rorschach nach Zürich dauerte eine ganze Woche. Zehn Jahre vorher war er vom lettischen Mitau bis in die Metropole Paris mehr als einen Monat unterwegs gewesen, was sicher auch an den widrigen Umständen der Schiffspassage über die Ost- und Nordsee lag. In Venedig wiederum war man 1882 vergleichsweise schnell: drei Tage mit dem Zug über Nürnberg, München, den Brenner und Verona.

Die Industrialisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert veränderte auch das traditionelle soziale Gefüge grundlegend: die Städte wuchsen rasant, ein schlecht bezahltes „Proletariat” lebte in prekären Verhältnissen, während zugleich ein wohlhabendes Großbürgertum aus Unternehmern und Investoren aufkam und für soziale Spannungen sorgte. Es war die Zeit, in der Karl Marx und Friedrich Engels soziale Ungleichheit und die Macht des Kapitalismus anprangerten.

In die weniger begüterten Schichten hielt die „gutbürgerliche Küche” erst mit steigenden Reallöhnen Einzug. Zu den Kolonialwaren gehörten Zucker, Kaffee und Kakao, Reis, Pfeffer und Rosinen sowie Tabak. Die Erfindung des Briketts erleichterte das Heizen, der Bodenbelag Linoleum das Aufwischen. Die Oberschicht wiederum schätzte in jenen Tagen besonders das Reisen in die großen Kur- und Badeorte.

Wagners Träume

Richard Wagner träumte wie jeder andere auch. In ihren Tagebüchern notierte Cosima zwischen 1869 und 1883 exakt 421 oft sehr detailliert beschriebene Träume, darunter auch so abstruse und phantastische wie den von Franz Liszt, der aussah wie der Kaiser von Brasilien und ihm den Papst in Gestalt Anton Bruckners vorstellte. Dass Geldsorgen oder auch Schuldgefühle gegenüber seiner ersten Frau Minna ein häufig wiederkehrendes Thema waren, überrascht nicht. Vor allem aber waren seine Träume von Verlustängsten hinsichtlich Cosima und seiner Familie beherrscht.

Wagner in Gedanken

Richard Wagner nahm die Welt, in der er lebte, mit einem Gefühl der Entfremdung wahr. Mit dem Scheitern der Revolution endete für ihn die Hoffnung auf eine sich selbst regulierende Gesellschaft ohne Götter und Staat, in der freie Liebe und emanzipatorische Sinnlichkeit herrschen. Den politischen Parteien traute er nicht, die einzigen Konstanten in seinem Denken waren sein Hass auf das Kapital und der damit oft einhergehende Antisemitismus.

Wagner im Alltag

Zeitlebens war Wagner auf der Suche nach Ruhe: störende Geräusche und Lärm erzeugten bei ihm regelrechte Phobien. Der ewig Unstete und Getriebene wünschte sich eine Familie, ein Heim fernab der großen Städte, die Nähe zur Natur und zum Ursprünglichen. In der Schweiz entdeckte der passionierte Wanderer seine Liebe zu den Bergen und wurde zum bisweilen waghalsigen Alpinisten. Er war körperlich fit und legte Wert auf einen geregelten Tagesablauf. Seine Verdauungsprobleme bekämpfte er mit Schonkost und Badekuren.

1872 kaufte Richard Wagner vom Privatier Carl Stahlmann für 12.000 Gulden (etwa 160.000€) ein Grundstück am Bayreuther Rennweg, um darauf sein Heim zu errichten. Das Geld dafür stellte Ludwig II. zur Verfügung, der auch einen großen Teil der Baukosten finanzierte. Sowohl der Kaufvertrag als auch der Grundriss des Erdgeschosses von Haus Wahnfried sind Teil der Ausstellung „Mensch Wagner”, und ebenso Cosimas Rezeptbuch mit herzhaften und süßen Speisen, Suppen, Beilagen, Saucen und vielem mehr. Besonders gern aß Wagner Roastbeef oder Fisch, allem voran Hering. Dazu wurde in aller Regel gekochtes Gemüse gereicht.

Aus Briefen wissen wir, welche Stoffe Wagner für seine Kleidung bestellt hat. Eine kleine Auswahl ist in der Ausstellung zu sehen. Sehr häufig taucht in den Briefen „Atlas” auf: der Stoff, den wir heute als „Satin” kennen. Auch war Wagner ein großer Hundeliebhaber, der zeitlebens Hunde wie den Neufundländer „Robber” besaß.

Dem Rezensenten, der die Ausstellung gleich am Eröffnungsabend besucht hat, bleibt ein unscheinbares Stück Papier besonders in Erinnerung: es ist die Abrechnung des Gondoliere Luigi Trevisan für den Januar 1883, überreicht an die Hinterbliebenen seines Stammkunden.

POI

Museum, Luzern

Richard-Wagner-Museum

Hier in Trib­schen lebte, schrieb und kom­po­nierte Richard Wagner. Die „Mei­ster­singer” wurden hier voll­endet, „Sieg­fried” und „Tristan und Isolde” ent­stan­den hier. Zur Geburt des Sohnes Sieg­fried schrieb er hier das „Sieg­fried-Idyll”.

Museum, Bayreuth

Richard Wagner Museum

„Haus Wahn­fried”, ehe­mali­ger Wohn­sitz Richard Wag­ners u. seiner Familie. Aus­stel­lung zu Leben und Werk Richard Wagners, Ge­schich­te der Bay­reu­ther Fest­spiele. Audio-, Video­vor­füh­run­gen, Sonder­aus­stellun­gen.

Bis 4.5.2025, Bayreuth

Mensch Wagner

Die Sommer­aus­stellung 2024 unter­nimmt den Versuch, den „Mythos Wagner” zu de­kon­stru­ieren, um sich dem Menschen Richard Wagner zu nähern.

Schloss, Ettal

Schloss Linder­hof

König­liche Villa des Königs Ludwig II. von Bayern. Prunk­räume im Stil des "Zwei­ten Rokoko". Schloss­park mit die Land­schaft ein­ge­pass­ten Ter­rassen- und Kas­kaden­an­lagen.

Museum, Hannover

Theater­museum

Einziges Museum seiner Art, das sich in einem Theater befindet.

Schloss, Meiningen

Schloss Elisa­bethen­burg

Kunst und Kunst­hand­werk aus 8 Jahr­hun­der­ten, Thea­ter­ge­schich­te des 19. und 20. Jahr­hun­derts, Musik­ge­schichte des 18. bis 20. Jahr­hun­derts.

Museum, Bayreuth

Franz-Liszt-Museum

Leben und Werk des Kom­po­ni­sten Franz Liszt, Gegen­stände aus seinem per­sön­li­chen Besitz, der Ibach-Flügel aus Haus Wahn­fried, Liszts Stumm­klavier, hand­schrift­liche Briefe, seltene Werk­erst­aus­gaben u.v.m.

Museum, Bayreuth

Jean-Paul-Museum Bay­reuth

Auto­gra­phen, Erst­aus­gaben, Bild­mate­rial und Er­in­ne­rungs­stücke an Jean Paul, der sich 1804 in Bay­reuth nieder­ließ.

Verantw. gem. §55 Abs 2 RStV:
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