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2.10.2025
Landschaft mit Brücke zu „Von der Provence zur Inkafestung”,
Hinführung zu „Von der Provence zur Inkafestung”,
Weg zum Sonnentempel zu „Von der Provence zur Inkafestung”,

Beitrag

Von der Provence zur Inkafestung

Zwei immersive Shows, die unterschiedlicher kaum sein könnten

Rainer Göttlinger
2. Oktober 2025

Was kommt einem zuerst in den Sinn, wenn irgendwo der Name Vincent van Gogh fällt? Während der eine Sonnenblumen, wirbelnde Sterne oder den typischen expressiven Malstil seiner Selbstporträts vor Augen hat, die van Gogh später berühmt werden ließen, denkt der andere vielleicht an die Tragik seiner zu spät erkannten Genialität und an seinen viel zu frühen Tod. Aber wie auch immer: wer van Goghs Gemälde von reifen Kornfeldern unter der flirrenden Sonne Südfrankreichs liebt und sich wünscht, mehr davon zu sehen als nur den kleinen Ausschnitt jener Landschaft, der in einen gewöhnlichen Bilderrahmen passt, ist in der immersiven Show „Vincent – Zwischen Wahn und Wunder” genau richtig.

Denn nur hier lassen sich die goldenen Felder im Sonnenlicht, die Zypressen, der Lavendel, die ländliche Architektur und überhaupt das gesamte intensive provenzalische Flair in jener 360-Grad-Rundumsicht erleben, wie sie auch der Maler in jenen Jahren hatte, die er in der Umgebung des Städtchens Arles zubrachte.

Und als ob diese Weiterführung der bildgewaltigen Landschaft in alle Himmelsrichtungen nicht schon überwältigend genug wäre, fügt die Show alldem auch noch so ergreifende klassische Musikwerke hinzu wie das Vorspiel zum 3. Akt des Lohengrin von Richard Wagner, das Unwetter aus Richard Strauss’ Alpensinfonie, das Adagio for Strings von Samuel Barber, aber auch modernen Tango wie Viva la Vida oder den Soundtrack zur fabelhaften Welt der Amélie.

Bei so geballten visuellen und akustischen Sinneseindrücken fällt es direkt schwer, auch noch dem Text aus dem Audioguide angemessene Aufmerksamkeit zu zollen, obwohl auch er sehr viel vor allem über die Seelentiefe und die intensiven emotionalen Zustände des Malers vermittelt. Der Verfasser rät deshalb dazu, sich nach dem ersten vollständigen Durchlauf und dem zehnminütigen Intermezzo einer von Vogelgezwitscher erfüllten Morgenstimmung die gesamte Show noch ein zweites Mal anzusehen, ganz ohne Sprechtext und nur auf das visuelle und akustische Erleben fokussiert. Denn genau dafür sind jene Sitzsäcke im Raum verteilt, in denen man so herrlich entspannt ruhen und genießen kann.

Wofür man sich ebenfalls Zeit nehmen sollte sind die Erläuterungen zu den familiären Wurzeln und die enge Beziehung zu seinem jüngeren Bruder Theo, dem beruflichen Werdegang des Künstlers, seinen Farbperioden, der Pinselführung, aber auch den Symptome, der Diagnose und der Behandlung seiner psychischen Erkrankung und der Verzweiflung, die schließlich im Juli 1890 in seinen Selbstmord mündete. Van Gogh malte, um seine innere Welt auszudrücken, verkaufte jedoch zu Lebzeiten mit dem „Roten Weinberg” nur ein einziges Bild. Der weltweite Erfolg seiner Gemälde stellte sich erst nach seinem Tod ein, sie gehören heute zu den wertvollsten auf dem gesamten Kunstmarkt.

Heute, rund 135 Jahre später und im Zeitalter der KI angekommen, können wir via Mikrofon und Bildschirm wieder mit Vincent sprechen. Der Verfasser hat es ausprobiert und das digitale Alter Ego nach dessen Verhältnis zur Natur gefragt: „Ich malte sie, weil sie mich beruhigte und erschütterte.” Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der Weg vom New Media Art Center in Friedrichshain zur Charlottenburger Kant-Garage, wo eine weitere virtuelle Attraktion wartet, dauert mit der S-Bahn und allen Fußwegen maximal eine Dreiviertelstunde.

Die berühmte Inkafestung Machu Picchu thront, wie man weiß, versteckt und schwer zugänglich auf einem schmalen und extrem steilen Bergrücken oberhalb des Urubamba-Flusses in den peruanischen Anden. Als Alternative bietet sich zur Zeit im Berliner Stadtteil Charlottenburg eine immersive, via VR-Headset vermittelte Führung durch ein digital reproduziertes Ebenbild an.

Hinaufzusteigen heißt es freilich auch hier, denn die Berliner Variante des Inka-Trails befindet sich in einem ehemaligen Parkhaus. Der gottlob kurze Weg beginnt in der Kantstraße und führt durch einen Korridor und über die spiralige Rampe bis hinauf in die erste Ebene, wo es zunächst einmal gilt, sich als Reisegruppe anzumelden. Sie besteht im Idealfall aus zwei Personen, was den Vorteil hat, dass man durch die Nähe einer vertrauten Person das Gefühl hat, die Tour gemeinsam zu erleben.

Ohne das Headset sähe man nebenan nur einen leeren Saal mit grafischen Mustern an den Wänden. Das ändert sich jedoch, hat man das Set erst einmal übergezogen und auf maximalen Tragekomfort eingestellt, überraschend schnell, denn die Sehschärfe justiert sich automatisch. Und da ist auch schon, nur wenige Schritte entfernt, die Tür zu sehen, die man nun voller Neugier und auf seinen eigenen Füßen durchschreitet, denn dahinter befindet sich das Reisebüro, das auf virtuelle Touren spezialisiert und natürlich auch selbst virtuell ist, genau wie Teri, der schwebende Roboter, der sich durch Kenntnisse über die spirituelle Welt der Inka hervortut und zugleich immerzu abgedroschene Reiseleiter-Witze zum besten gibt. Beflissen gibt er uns noch den Tipp, auf die gelben Linien am Boden zu achten, deren Bedeutung man ja von den Raucher-Ghettos am Bahnsteig kennt: bis hierher und nicht weiter. Übertritt man versehentlich die Grenzen der virtuellen Welt, erscheinen entweder ein rotes Gitter oder rote Fußstapfen, die einem den Rückweg weisen. Auch blau umrandete Flächen gibt es: dorthin soll man jeweils gehen.

Möge das Abenteuer beginnen! Schon einen kurzen Augenblick später findet man sich an einem anderen Ort in einer anderen Zeit wieder, erfährt Interessantes über das Leben zur Inkazeit und lernt als weiteren Begleiter ein freundlich dreinschauendes Lama kennen. Wie herrlich realistisch diese virtuelle Welt doch wiedergegeben ist! Man ist glatt versucht, das Smartphone zu zücken für ein paar Fotos von der herrlichen Bergwelt ringsum, von den terrassierten Steilhängen voller Mais und anderer Kulturpflanzen, dem Zyklopenmauerwerk oder der Feuerzeremonie im Sonnentempel. Aber was nicht real existiert, kann natürlich auch nicht fotografiert werden.

Es folgen noch etliche weitere markante Punkte, deren jeweilige Bedeutung Teri so diensteifrig erläutert, wie es ein Reiseleiter eben zu tun pflegt. Eigentlich liefe auch alles wie am Schnürchen, wäre da nicht … nun, mehr sei nicht verraten. Die Dreiviertelstunde vergeht wie im Flug, und das mulmige Gefühl, sich so haarscharf am Rande des Abgrunds keinen Fehltritt erlauben zu dürfen, weicht der Erleichterung, dass man keinen Augenblick lang in Gefahr gewesen ist. Nur einmal hatte der Verfasser nicht aufgepasst und lief, zur Rechten die schöne Aussicht bewundernd, mit der linken Schulter gegen einen rot markierten Pfeiler.

Aber dergleichen passiert ihm ja auch in der realen Welt immer wieder mal.

POI

Bis 11.1.2026, Berlin

Vincent – Zwischen Wahn und Wunder

Die faszi­nie­ren­den letzten Jahre des Vincent van Gogh, ver­mittelt durch 360°-Projek­tionen, Original­zitate und eine mi­reißende Klang­kulisse.

Bis 14.12.2025, Berlin

Machu Picchu

Eine ebenso unter­halt­same wie präzise, auf jeden Fall aber fesselnde Reise in die prä­kolum­bia­nische Ver­gangen­heit.

Bis 11.1.2026, München

Vincent – Zwischen Wahn und Wunder

Die faszi­nie­ren­den letzten Jahre des Vincent van Gogh, ver­mittelt durch 360°-Projek­tionen, Original­zitate und eine mi­reißende Klang­kulisse.

Museum, Amsterdam

Van Gogh Museum

Größte Samm­lung von Werken Vincent van Goghs.

Museum, Winterthur

Villa Flora

Erle­sene Schweizer und fran­zö­si­sche Kunst der Jahr­hundert­wende. Schwer­punkte bilden die Künstler­gruppen der "Nabis" mit ihren be­rühm­ten Ver­tretern Bon­nard, Denis, K.X. Roussel, Vallotton und Vuillard, sowie der "Fauves" mit Matisse, Marquet, Rouault und Mangin.

Museum, Kehl

Deutsches Epilepsie­museum

Epi­le­psie: Ge­schich­te, Dia­gno­stik und Thera­pie. Epile­psie und Kunst. Promi­nente Anfall­kranke (Julius Caesar, Vin­cent van Gogh, Napo­leon Bona­parte, Molière, Alfred Nobel, Lord Byron u.v.a.).

Museum, Bern

Kunst­museum Bern

Schwe­izer Kunst: Ferdi­nand Hodlers Por­träts, Land­schaften und gross­for­ma­tige alle­go­ri­sche Werke. Deutsche Kunst, zeit­ge­nössi­sche Kunst (Samm­lung Toni Gerber). Gra­phi­sche Samm­lung.

Bis 31.12.2026, München

Von Turner bis van Gogh

Werke von Caspar David Friedrich und franzö­sischen Impressio­nisten, bisher nicht gezeigte Werk­gruppen von Ferdinand Georg Waldmüller und Adolph Menzel.

Museum, Berlin

Aka­demie der Künste (Hanse­aten­weg)

Nach­läs­se und Samm­lun­gen zur deut­schen Kunst und Lite­ra­tur des 20. Jahr­hun­derts.

Museum, Berlin

Gas­laternen-Frei­licht­museum

Verantw. gem. §55 Abs 2 RStV:
Rainer Göttlinger
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