Version
12.11.2024
Klaus Wowereit zu „Von Sternchen und Planeten”,
Sphärenmodell zu „Von Sternchen und Planeten”,
Saturn zu „Von Sternchen und Planeten”,
Bronzetafeln zu „Von Sternchen und Planeten”,
 zu „Von Sternchen und Planeten”,
Rembrandt, Selbstporträt zu „Von Sternchen und Planeten”,
Rembrandt, Selbstporträt, 1669, Öl auf Leinwand
© Mauritshuis, Den Haag

Beitrag

Von Sternchen und Planeten

Berlin ist auch im Spätherbst eine Reise wert

Rainer Göttlinger
12. November 2024

Berlin ist immer eine Reise wert. Sogar im Spätherbst noch, wenn sich die Flaniermeile „Unter den Linden” zwar schon nicht mehr herbstlich, aber auch noch nicht weihnachtlich zeigt und man sich eigentlich lieber drinnen als draußen aufhält. Die Redaktion hat ein paar Tipps recherchiert, die geeignet sind, den Berlin-Aufenthalt unvergeßlich zu machen.

Prominenz in Wachs

Die markanten roten Eingangstüren des weltberühmten Wachsfiguren-Kabinett öffnen um 10 Uhr. Man kann sein Ticket vorab erwerben, dann steht man links, oder spontan an der Tageskasse, dann steht man rechts. Zu so früher Stunde steht man aber eigentlich überhaupt nicht an.

Die sonst bei Ausstellungen üblichen Exponat-Täfelchen braucht es im Tussauds nicht, man erkennt ja alle Personen auf Anhieb. Und falls nicht, hilft einem der Kontext, in dem sie stehen. Da sind zum einen die Personen mit Berlin-Bezug wie Klaus Wowereit, Angela Merkel oder Willy Brandt, Marlene Dietrich oder Max Schmeling, aber auch ein Erich Honecker und sogar ein ziemlich versteckter Adolf Hitler begegnen einem auf dem Weg zur Treppe in das obere Stockwerk, wo es mit Beethoven, Bach, Einstein, Marx und Grass weitergeht und bei Helmut Kohl, Olaf Scholz und Dirk Nowitzky noch lange nicht endet. Viele Figuren sind so arrangiert, dass die Besucher in ihrer Nähe für ein Selfie posieren können, auf Sigmund Freuds Couch zum Beispiel oder auf dem Wer-wird-Millionär-Ratestuhl. Und wer wissen möchte, wie denn so eine Wachsfigur hergestellt und bemalt wird, findet auch darüber zahlreiche Erläuterungen.

Ein magischer Anziehungspunkt war für den Verfasser die Bar im nachgestellten Nachtclub „Moka Efti” aus der Fernsehserie „Babylon Berlin“, wo Charlotte Ritter lässig am Tresen lehnt, derweil eine ebenso attraktive Swetlana Sorokina im Pailettenkleid auf die Musik „Zu Asche zu Staub” tanzt und Kommissar Gereon Rath das ganze vom Eingang aus beobachtet. Der Cocktail des Tages heißt „Pumpkin Spice Latte“ und ist alkoholfrei, die Konsistenz des Champagners in Charlottes Glas gleicht dem von Götterspeise, und die Schauspieler, so lebendig sie auch wirken, haben eine selfie-taugliche Pose eingenommen, die sie auch geduldig beibehalten: es ist eben alles nur Abbild einer Realität, die wiederum ihrerseits nur filmisches Abbild war.

Film und Fernsehen nehmen im Tussauds Berlin ohnehin breiten Raum ein, man ist ober der Populärkultur ebenso nah wie schon unten der Polit-Prominenz. Zum Glück hat man nicht versucht, überall die passende Musik einzuspielen, denn was gäbe das für ein heilloses Durcheinander: hier Abba und Michael Jackson, dort Helene Fischer, Peter Maffay, Roland Kaiser und noch einige andere. Auch Hollywood ist vertreten – nicht nur mit Johnny Depp, Leonardo diCaprio und einigen anderen, im nachfolgenden Raumschiff-Ambiente begegnen einem auch R2D2 und C3PO, Luke Skywalker, Han Solo, Darth Vader, Prinzessin Leia und all die anderen. Natürlich auch einen Meister Yoda sie hier haben, auf einem bequemen Sessel er sitzt.

Abschließend darf man in Gegenwart von Elvis Presley noch hinterlassen, ob einem der Besuch gefallen hat, und welche Figur man vermißt hat. Den Miljöh-Maler Heinrich Zille zum Beispiel. Und auch ein Max Raabe hätte sicher ganz gut in die Riege der Berliner Originale gepaßt.

Was ist Aufklärung?

Auf dem Weg zum Zeughaus, wo das Deutsche Historische Museum seinen Sitz hat, könnte man noch einen Blick ins DRIVE der Volkswagen Group werfen oder auch in die SpencerHill World auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Das DHM wiederum wird noch bis Ende 2025 renoviert, so dass nur der rückwärtige sogenannte „Pei-Bau” für die Besucher zugänglich ist. Auf dessen Programm steht zur Zeit eine Ausstellung mit dem etwas trockenen Titel „Was ist Aufklärung?”.

Es sei an dieser Stelle verraten, dass sich hinter der markanten Glasfassade keineswegs eine jener leidvollen Schulstunden verbirgt, die man aus eigener Erfahrung am liebsten weiträumig umgehen möchte. Vielmehr empfiehlt es sich, Immanuel Kants Motto „Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen” gleich von Anfang an wörtlich zu nehmen und sich von Exponat zu Exponat zu überlegen, welche gesellschaftliche Errungenschaft es verkörpert, und wo wir ohne diese Erfindung oder Erkenntnis stünden. Da wurden etwa im Zuge der Französischen Revolution die Menschen- und Bürgerrechte ausgerufen, sie galten jedoch nicht für Frauen. Da postulierte ein Thomas Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten die Gleichheit aller Menschen und war doch zugleich Sklavenhalter. Da begegneten Europäer unbekannten Völkern mit großer Neugierde, schufen aber zugleich die Grundlagen eines klassifizierenden Rassismus. Eine Tabelle listet vorgebliche Eigenschaften europäischer Volksangehöriger auf: Spanier seien hochmütig, heißt es dort, Franzosen leichtsinnig und Deutsche offenherzig. Sie verbrächten ihre Freizeit bevorzugt mit Trinken, während die Polen gerne zanken und die Wälischen (Italiener!) schwätzen. Ja, und? Wie langweilig und öde wäre denn eine Welt, in der das alles, sofern überhaupt stichhaltig und allgemeingültig, zu einem faden Einheitsbrei verkäme?

Virtuelle Welten

Man ist nicht in Berlin gewesen, wenn man nicht auch im Humboldtforum war. Zur Zeit läuft dort die interessante Ausstellung über die gerade einmal 14 Jahre währende Geschichte des „Palast der Republik“. Eine Medienstation zeigt einige jener Großveranstaltungen, die der je nach Bühnengröße bis zu 4.442 Zuschauer fassende Saal im Laufe der Jahre gesehen hat. Erinnert sich noch jemand an ”Ein Kessel Buntes“, „Schlag(er) auf Schlag(er)” oder gar das Festival des politischen Liedes? Eigene Erinnerungen an „Erichs Lampenladen“ mögen bitte nebenan abgegeben werden, als „Erinnerungsspende” an das Künstlerduo „Cyberräuber”. Es trainiert mit diesen Beschreibungen dann eine KI, die daraus eine mittels VR-Brille begehbare Mixed-Reality-Installation erschafft. Die virtuelle Welt zaubert Lampen, Sitzmöbel und natürlich die Gläserne Blume in den Raum und reagiert auf Gesten wie etwa das Ergreifen der frei im Raum schwebenden Bilder, die man zwecks näherer Betrachtung heranholen, drehen oder wenden kann.

Völlig anders wiederum als die geisterhaften Liniengebilde der Cyberräuber sehen die VR-Welten aus, mit denen die Ausstellung „Kunst als Beute” ganz oben im Humboldtforum aufwartet. Gleich hinter dem Eingang hilft eine sympathische junge Frau beim Anlegen der VR-Brille, und schon einen Augenblick später verschwindet die reale Umgebung zugunsten einer virtuellen: ringsum stehen mit einem Mal große Holzkisten gestapelt, und an der Wand lehnen gerahmte Bilder, darunter das von den Nazis im Salzbergwerk Altaussee versteckte Rembrandt-Selbstporträt, das soeben noch real in der Ausstellung zu sehen war. Und genau in dieses Bergwerk versetzt einen die VR-Technik.

Dieser ersten VR-Erfahrung folgt, an einem anderen Platz und mit einer anderen Brille, eine noch faszinierendere zweite. Denn nun steht man virtuell ganz oben neben der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, wo es zum Glück ein Geländer zum Festhalten gibt, derweil unten die Truppen Napoleons nach Berlin einrücken. Das dritte VR-Bild schließlich rankt sich um einen balinesischen Dolch aus dem Ethnologischen Museum, den der getötete Wächter im Tempel Goa Lawah noch in der Hand hält.

Ein Keller voller Magie

Es ist unwahrscheinlich, dass einem nach all diesen Erlebnissen noch Zeit für zwei oder drei weitere bleibt. Aber man fährt ja auch nicht nach Berlin, um gleich am Folgetag wieder abzureisen. Dieser nächste Tag könnte einen, ausgeschlafen und frisch gestärkt, zum Beispiel in die Alte Nationalgalerie führen. Oder aber man läßt die alten Meister links liegen und wendet sich vom S-Bahnhof „Hackescher Markt” aus in die entgegengesetzte Richtung, um in der Spandauer Vorstadt ein wahres Kleinod zu besuchen: das „Magicum”.

Sein uriges Ambiente könnte nicht besser gewählt sein: vom Eingangsbereich heißt es ein paar enge Stufen in den Keller hinabsteigen, wo sich zur Linken der Blick in ein geheimnisvolles Alchimielabor auftut. Es folgt ein längerer, den sechs Weltreligionen gewidmeter Flur mit Kartentischen, die allerlei Orakelhaftes offenbaren, ehe man ein Stück weiter dann in die Folterkammer gelangt, mit schauderhaften Werkzeugen, denen man sich besser nicht ausgeliefert sehen möchte. Zum Glück ist aber kein Folterknecht anwesend, stattdessen trifft man drei Räume weiter auf einen Magier, dem die Beherrschung der Voodoo-Künste geradezu ins Gesicht geschrieben steht. Unter anderem verfügt er über die Gabe, mit verbundenen Augen zu erkennen, was ein Mädchen aus der Zuschauerriege auf ein Stück Papier malt. Damit alle außer dem Magier es sehen können, hält das Mädchen den Zettel hoch, woraufhin eine andere begeisterte kleine Zuschauerin ruft: „ein Herz!”. So war das natürlich nicht gedacht, aber immerhin wissen jetzt auch die Allerkleinsten, wie wichtig es manchmal sein kann, Geheimnisse nicht auszuplaudern.

Planetentour

Rätselhaft bleibt auch erst einmal, wo genau denn das „Lighthouse of Digital Art” sein Programm „The Grand Tour” zeigt: das Eckhaus Revaler Straße 99 in Berlin-Friedrichshain sieht nämlich ebenso wenig einladend aus wie die kopfsteingepflasterten Zuwege ringsum: ein altes Gewerbegebiet an der Warschauer Straße, mit Schienen, über die schon seit Jahrzehnten kein Güterwagen mehr gerollt ist. Es braucht ein wenig Intuition, um in diesem Lost-Place-Ambiente die Halle das Medienzentrum zu finden, das zur Zeit Schauplatz gleich zweier Immersiv-Shows ist: Tutanchamun in der vorderen und die Planetenshow in der hinteren Halle.

Wie bei immersiven Shows üblich erstreckt sich die Projektion raumhoch über alle vier Wände des Zuschauerraums und bezieht auch den Fußboden mit ein, auf dem allerlei Liegekissen zum entspannten visuellen Genuss einladen. Die faszinierenden Bilder der diversen NASA-Missionen dürfte wohl jeder schon einmal gesehen haben, aber ganz sicher nicht in dieser, den gesamten Gesichtskreis füllenden Größe. So ungefähr muss das Universum einem Astronauten erscheinen, wenn er Jupiter, Saturn oder auch nur den Mond in unmittelbarer Nähe passiert. Auch unsere Milchstraße sieht auf solchen Fotos immer sehr eindrucksvoll aus, aber Moment mal: sprachen die Astronomen und Astronauten nicht immer davon, wie messerscharf sich die Himmelskörper von der schwarzen Leere des Weltraums abheben? Hier jedoch konkurrieren die dünnen Ringe des Saturn nun mit der hell leuchtenden Galaxie im Hintergrund.

Vielleicht liegt es aber ja an einer falschen Erwartungshaltung des Rezensenten, die ihn das berühmte „Earthrise”-Foto vom 24. Dezember 1968 mit der über dem Mondhorizont aufgehenden Erde und die in diesem Augenblick über die Leinwand schwebende Mondlandefähre als irgendwie unstimmig empfinden läßt – sah doch das Raumschiff Orion 8 völlig anders aus! Auch dass die Ringe des Neptun eher um eine künstlerische Interpretation denn um ein NASA Foto handelt – Schwamm drüber! Wer sich dem Eindruck hingeben will, das Sonnensystem zu bereisen wie einst Raumschiffkapitän David Bowman in „2001 - A Space Odyssee”, muss eben bei der sachlichen Korrektheit des Gezeigten ein paar Abstriche hinnehmen.

Es gäbe sicher noch viele weitere Berliner Attraktionen, über die zu berichten sich lohnte. Aber das soll auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Der Verfasser war im Oktober 2024 in Berlin unterwegs.

POI

Museum, Berlin

Madame Tus­sauds

Deutsche Persönlichkeiten und internationale Stars als realistisch wirkende Wachsfiguren: Boris Becker, Torhüter Oliver Kahn, Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vorgänger Gerhard Schröder - insgesamt 75 Figuren in acht Themenbereichen.

Erlebnisort, Berlin

Magicum - Berlin Magic Museum

Gei­ster­be­schwö­rung, Zu­kunfts­deu­tung, Kraft­orte und Hexen­künste, Zeug­nisse der Welt­reli­gio­nen, Ge­heim­wissen­schaf­ten, Ritual­gegen­stände und Zauber­mittel.

Museum, Berlin

DRIVE Volks­wagen Group Forum

„Fas­zi­na­tion Mobi­lität”: Um­welt, Nach­haltig­keit, Inno­va­tionen, alter­native Antriebe, Technik und Design.

Museum, Berlin

SpencerHill World

Requi­siten aus den Filmen wie etwa der rot-gelbe VW Buggy aus „Zwei wie Pech und Schwefel” oder das Eis­wägel­chen mit Pistazien­eis aus „Zwei sind nicht zu bremsen”.

Bis 6.4.2025, Berlin

Was ist Auf­klärung?

Die umfang­reiche Aus­stellung nimmt die Frage nach dem Wesen der Auf­klärung auf und stellt zugleich weitere „Fragen an das 18. Jahr­hundert”.

Bis 16.2.2025, Berlin

Hin und weg

Die Aus­stellung widmet sich den ver­schie­denen Phasen des Gebäudes, von seiner Planung und Errichtung über seine Nutzung und Zwischen­nutzung bis zum 2008 voll­endeten Abriss.

Bis 26.1.2025, Berlin

Kunst als Beute

Die Objekte aus den Samm­lungen des Maurits­huis, drei Berliner Museen und des Musée des Beaux-Arts de Rennes werden teils im Original, teils als Replik prä­sentiert.

Bis 30.12.2024, Berlin

The Grand Tour

Rundum-Projektion detail­reicher Auf­nahmen des James-Webb-Weltraum­teleskops sowie der NASA und vieler weiterer Quellen.

Museum, Berlin

Aka­demie der Künste (Pariser Platz)

Aus­stel­lun­gen und tem­po­räre In­stalla­tio­nen. Ober­licht­säle von 1906.

Bis 12.1.2025, Berlin

Zeitungsleser:innen

Eddy Post­huma de Boer erinnert uns an eine analoge und doch mobile Welt der Infor­mation und der Nach­richten, die er in öffent­lichen Räumen doku­mentiert hat.

Bis 7.9.2025, Berlin

Nach­richten - News

Nach­richten sind jederzeit überall verfügbar. Dennoch haben immer weniger Menschen Interesse daran, auf dem Lau­fenden zu bleiben. Warum?

Verantw. gem. §55 Abs 2 RStV:
Rainer Göttlinger
Pressemitteilungen willkommen
#10301 © Webmuseen Verlag