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24.10.2023
Geschichte der Kunst zu „Die Geschichte der Kunst”,
Geschichte der Kunst zu „Die Geschichte der Kunst”,

Besuchsbericht

Die Geschichte der Kunst

Neu erzählt von Charlotte Mullins

Rainer Göttlinger, 24. Oktober 2023
Buch: www.chbeck.de

Die in London lebende freie Kunstkritikerin Charlotte Mullins legte vor kurzem eine neue, umfassende Geschichte der Kunst vor, in welcher sie mit spielerischer Leichtigkeit die bisher vernachlässigten Positionen fernöstlicher, mittelamerikanischer, indischer oder afrikanischer Kulturkreise sowie auch die frühen Kulturen der Steinzeit und des alten Ägyptens gleichrangig neben die gewohnt männlich-eurozentrische Perspektive stellt, wenngleich viele dieser Exponate natürlich längst auch den Weg in die europäischen Kunstmetropolen gefunden haben.

Wenig verwunderlich beginnt ihre Geschichte in den steinzeitlichen Bilderhöhlen, streift die als „Venus von Willendorf” bekannt gewordene altsteinzeitliche Figurine, verortet den messamerikanischen Olmeken-Kopf ebenso als Element der Weltkunst wie die Terrakotta-Armee des chinesischen Kaisers Qín Shǐhuángdì oder die erstaunlich modern wirkenden ägyptischen Mumienporträts, erwähnt die geheimnisvollen Linien von Nazca, das Fresko der siegreichen Maya-Krieger aus Bonampak, das buddhistische Heiligtum Borobudur und nicht zuletzt die riesigen steinernen Moai auf Rapa Nui, bekannt als Osterinsel.

Natürlich widmet Mullins dabei auch den europäischen Kunstepochen wie Gotik, Renaissance, Barock und Romantik den Raum, der ihnen in einer immerhin 40 Kapitel umfassenden Gliederung zusteht. Eines dieser Kapitel ist dem Impressionismus gewidmet, ein anderes, das nachfolgend exemplarisch etwas näher beleuchtet werden soll, der Romantik.

Kapitel 25: Von der Romantik zum Orientalismus

„Juli 1819. Théodore Géricault legt seinen Pinsel beiseite. Das Bild ist fertig. Er hat die letzten neun Monate in einem wahren Malrausch zugebracht, sich in seinem Atelier eingeschlossen und auf einer Leinwand von sieben Metern Breite und fast fünf Metern Höhe ein aufwühlendes Gemälde geschaffen. Es zeigt das Leiden der Überlebenden eines Schiffsunglücks. Zu sehen ist ein kleines Floß weit draußen auf dem Meer, darauf afrikanische Soldaten, Seeleute aus dem Mittelmeerraum und bleiche Leichen von Franzosen. Ein dunkelhäutiger Mann mit bloßem Oberkörper schwenkt eine behelfsmäßige Fahne, um die Aufmerksamkeit eines in der Ferne vorbeiziehenden Schiffs auf sich zu lenken, doch der Wind in dem kleinen Segel des Floßes treibt sie in die falsche Richtung. Die Wellen drohen die Männer zu verschlingen, fünf von ihnen hat bereits der Tod ereilt.”

Das „Floß der Medusa” gewann auf dem Salon von 1819 eine Goldmedaille, wurde aber nicht sofort vom Staat angekauft. Das hatte womöglich damit zu tun, dass die zentrale Figur auf dem Bild ein dunkelhäutiger Mann ist, ausgerechnet zu einer Zeit, als Frankreich den Sklavenhandel wieder aufnahm.

Die Kritiker teilten sich in jene, die den Realismus von Théodore Géricault (1791-1824) priesen, und jene, die es für unangebracht hielten, ein grausames Geschehnis aus jüngerer Zeit im Großformat eines klassischen Historiengemäldes wiederzugeben. Mit dem „Floß der Medusa” demonstrierte Géricault seine Überzeugung, dass der Künstler nicht den Regeln der Akademie unterworfen sein sollte, sondern frei sein zu malen, was ihn bewegte.

Ein Kapitel über die Romantik in der Kunstgeschichte wäre nicht vollständig ohne ein paar Absätze über Caspar David Friedrich, über John Constable, den „Vater der amerikanischen Landschaftsmalerei” Thomas Cole und den Fuji-Maler Katsushika Hokusai. Den romantischen Künstler Eugène Delacroix wiederum, der für „Das Floß der Medusa” seines Helden Géricault Modell gestanden hatte, zog es in den Maghreb, um wie sein Malerkollege Jean-Auguste-Dominique Ingres „den Orient” zu malen – letzterer aber bequem von seinem Atelier in Rom aus. Seine „Odeliske”, eine nackte Sklavin mit unrealistisch langem Rücken, ist nicht einfach ein Objekt, das man nach Lust und Laune betrachten kann: ihre Augen mustern einen, während man sie ansieht.

Der unterhaltsame Ritt durch die Kunstgeschichte findet seine Fortsetzung unter anderem im Post-Impressionismus mit Van Gogh, Munch, Cézanne und in der Moderne mit Modersohn-Becker, Rodin, Matisse und natürlich Picasso sowie weiteren 10 Kapiteln, in denen die Autorin ausführlich auf die letzten 100 Jahre der Kunstgeschichte eingeht, dabei die politische Kunst ebenso streift wie den Nachhall des Krieges und schließlich die postmoderne Welt eines Basquiat, Haring, Richter oder – man bedenke die globale Perspektive – Zhang Xiaogang und Ai Weiwei.

Um alle alle erwähnten Kunstwerke, es sind mehr als 170, persönlich in Augenschein zu nehmen, wäre man wohl recht lange unterwegs. Denn es genügte ja nicht, einfach das British Museum, den Louvre, die Vatikanischen Museen, die Uffizien, Pompeji, die Moskauer Tretjakow-Galerie, die Hagia Sophia, den Prado, das New Yorker MoMA oder gar die Australische Nationalgalerie aufzusuchen: alle diese Häuser verfügen über umfangreiche Dauerausstellungen, deren faszinierende und fesselnde Fülle einen sich so manches Mal vergessen macht, was man eigentlich konkret sucht und sehen möchte.

Der Verfasser hat sich in den Pariser Louvre begeben, der in Mullins neuer Kunstgeschichte mit immerhin sieben Werkabbildungen vertreten ist, und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich noch das Musée d'Orsay und Monets Seerosenbilder im Musée de l'Orangerie angeschaut. Aber das ist, wenngleich die gezielte Suche nach Watteau, Géricault, Courbet und all den anderen den Besuch dieser Häuser noch spannender gestaltet als sie es ohnehin schon sind, eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Die Geschichte der Kunst

Neu erzählt von Charlotte Mullins

C.H.Beck OHG, München 2023

466 Seiten mit 173 Abbildungen

ISBN 978-3-406-80622-3

Hardcover 38,00€

POI

Museum, Paris

Musée du Louvre

Eines der größten Museen der Welt mit unge­fähr 380.000 Werken. Gemälde aus Frank­reich, Italien und Spanien, aus Groß­britannien, den Vereinigten Staaten und Nord­europa. Römische, griech­ische und ägyp­tische Altertümer.

Museum, Paris

Musée d’Orsay

Museum in einem ehe­maligen Bahnhof. Gemälde, Skulp­turen, Grafiken, Foto­grafien, Werke des Kunst­hand­werks und Designs sowie der Archi­tektur.

Museum, Wien

Natur­histo­risches Museum

Präch­tiger Palast der Natur­wissen­schaft und eines der be­deu­tend­sten natur­wissen­schaft­lichen Museen der Welt. Berühmte und un­er­setz­bare Expo­nate, etwa die 25.000 Jahre alte Venus von Willen­dorf, die vor über 200 Jahren aus­ge­stor­bene Steller­sche See­kuh, riesige Saurier­skelette und vieles mehr. Eines der 10 besten Museen der Welt.

Museum, Paris

Musée de l’Orangerie

Museum, Paris

Musée de la musique

Das Musik­museum ist welt­berühmt für seine Samm­lung und Präsen­tation von Musik­instru­menten, sein histo­risches Erbe umfaßt Jahr­hunderte. Geburt der Oper, Musik der Auf­klärung, Romantik und Welt­musik.

Museum, Paris

Musée de Cluny

Skulp­turen, Gold­schmiede­arbeiten, Glas­fenster, Gemälde, Buch­malerei, Wand­teppiche (darunter die berühmte Dame mit dem Einhorn) und Alltags­gegen­stände zeigen den ganzen Reichtum und die Komplexität der mittel­alter­lichen Welt.

Schloss, Rueil-Malmaison

Musée national des châteaux Malmaison

Wohnsitz von Kaiser Napoleon und seiner Frau Joséphine. Ursprüng­liche Fassung des Gemäldes von Jacques-Louis David, „Bonaparte beim Über­schreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard”.

Ausstellungshaus, Paris

Atelier des Lumières

Einzig­artiges Kunst­zentrum für raum­füllend proji­zierte, mit Musik und Videos unter­legte klassi­sche Gemälde.

Verantw. gem. §55 Abs 2 RStV:
Rainer Göttlinger
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